24-Stunden-Pflegedienst oder: Unsere lustige WG
Irgendwann kommt diese Frage unweigerlich, wenn wir unsere Geschichte erzählen: „Wie? 24 Stunden Pflegedienst? Also dann ist IMMER jemand bei euch zu Hause? Oh Gott, das könnte ich aber nicht…“ Ich erinnere mich auch selber noch sehr gut an diesen Moment zurück – die Erkenntnis, dass mit Julians Ankunft zu Hause wirklich immer eine fremde Person in unserem Haus sein wird… Schrecklich! Früher – als Julians Zimmer noch unser Arbeitszimmer war und Julian noch im Krankenhaus war, saßen wir in dem Raum und konnten uns nicht vorstellen, dass dieser bald ein Intensivkinderzimmer (also Intensivstation im Kinderzimmer) sein wird. Und dass wir nicht mehr alleine sein werden. Und wir nicht einfach mal so durchs Haus laufen, ohne dass uns jemand begegnen könnte. So richtig vorstellen konnten wir uns das vorher auch nicht.
Mittlerweile ist es bereits fast 9 Monate her, dass Julian nach Hause gekommen ist. Und bis auf die wenigen Momente, wo wir mal aufgrund von organisatorischen Schwierigkeiten keinen Pflegedienst da hatten oder wenn Julian im Krankenhaus war (was übrigens auch komisch ist – plötzlich wieder alleine zu sein. ;-)), war ja tatsächlich immer jemand da.
Anfangs hatten wir den Anspruch, dass wir auf jeden Fall Kinderkrankenschwester haben müssen. Davon sind wir stark abgewichen. Viel wichtiger ist es, dass die Leute zu uns passen. Anfangs hatten wir da schon den ein oder anderen „Fehlschlag“. Wir passten menschlich einfach nicht zusammen und das macht es dann sehr schwer. Schlimm waren die Momente, wo ich schon keine Lust mehr hatte in Julians Zimmer zu gehen, weil ich wusste, wer gerade da ist… Traurig, aber solche Momente gab es wirklich. Jetzt haben wir eine gute Mischung aus Altenpflegern, Krankenschwestern und auch Kinderkrankenschwestern – also alles Pflegefachkräfte. Die Besonderheiten von Julian müssen alle lernen – egal mit welcher Vorbildung. Und glücklicherweise haben wir jetzt auch ein tolles Team von Menschen zusammen, mit denen wir uns prima verstehen. Darum sprechen wir auch von unserer „lustigen WG“. Und genau so muss man es wohl auch sehen. Es ist eine Zweckgemeinschaft. Nun sind wir in der glücklichen Lage einer komfortablen Wohnsituation: unser Haus ist groß genug, um sich auch mal aus dem Weg zu gehen, Julians Zimmer ist im Erdgeschoss, die Pflegekräfte halten sich in der Regel in Julians Zimmer auf und gehen maximal mal ins Gäste-WC oder in die Küche.
Es kommt natürlich auch zu den WG-typischen Zwischenfälle: Erst neulich hat mein Mann das Apfelmus einer Pflegekraft gegessen. 😉 Und falls sich jemand die Frage stellt: Nein, wir müssen unseren Pflegedienst nicht verpflegen. Es ist schließlich ihr Arbeitsplatz hier und sie bringen alles selber mit. Die Küche können sie bei Bedarf gerne nutzen. Wichtig ist, denke ich, dass man klare Regeln aufstellt. Da können sich beide Seiten gut drauf einstellen. Schließlich ist es genauso wichtig, dass sich auch die Pflegekräfte hier wohl fühlen – sie verbringen ja einen nicht geringen Anteil an Stunden hier. Ganz zu Beginn haben wir einen Ablaufplan erstellt, so dass auch jeder Neue sich direkt einlesen kann, wann hier was passiert (also bezogen auf Julian und alles Drumherum).
Für eine 24-Stunden-Versorgung benötigt man im Übrigen rechnerisch 5,8 Personen, um alle Zeiten mit Puffer für Urlaub und sonstigen Fehlzeiten abdecken zu können. Gearbeitet wird in 2-Schicht- (je 12 Stunden) oder auch 3-Schichtsystem (8 bis 13 Uhr, 13 bis 22 Uhr und 22 bis 8 Uhr).
Wir haben uns mittlerweile echt dran gewöhnt. Ich sage das so oft: aber man kann sich wirklich an vieles gewöhnen. Klar, bekommen wir zwischendurch auch mal einen Lagerkoller und so ist es auch schon passiert, dass ich eine Pflegekraft aus der Küche rausgeschmissen haben, weil ich dort gerade am werkeln war und meine Ruhe wollte. Aber das ist schon lange nicht mehr passiert. Es hat sich eingeschliffen und wenn es uns zu viel wird, verschwinden wir einfach nach oben. Aber oftmals merkt man gar nicht, dass noch Jemand da ist. Mir ist das neulich erst wieder aufgefallen, als meine Schwester ganz erstaunt nach einem Geräusch fragte und ich meinte, dass R. gerade geniest hätte. Ich habe das Geräusch zwar gehört aber als bekannt und nicht erwähnenswert abgespeichert. Und manchmal fragt mein Mann, wer denn zum Beispiel zur Nachtschicht da ist, obwohl besagte Person gerade am Wohnzimmer vorbei (wir haben ein zum Flur hin offenes Wohnzimmer) in die Küche gegangen ist.
Es hat auch durchaus seine positiven Seiten. Wenn mein Mann nachts nicht da ist, bin ich jetzt viel beruhigter. Früher war ich besonders nachts nicht gerne alleine in diesem großen Haus. Und tagsüber habe ich bei Bedarf immer Jemanden zum quatschen, Kaffeetrinken und Spazierengehen. 😉
Wünschen tun wir uns natürlich etwas anderes. Aber was soll man machen -wir versuchen das Beste aus der Situation zu machen.