Hingucken, weggucken, ansprechen, ignorieren?

Veröffentlicht am von Kathrin

Tjaaaa. Wie macht man es denn nun? Interessanterweise kann ich – trotz über 1 Jahr Erfahrung mit einem besonderen Kind – nicht sagen, wie man es nun am besten macht.

Relativ zu Beginn fragte mich eine Kollegin mal, wie man am besten damit umgeht, wenn man einen behinderten Menschen bzw. ein Kind mit Einschränkungen trifft. Ich hatte und habe immer noch nicht die richtige Antwort. Es hängt immer total von der Situation ab und auch wie man selber gerade drauf ist. Ich werde mal ein paar Situationen beschreiben.

Vor zwei Tagen bin ich mit Julian im Krankenhaus in einen Aufzug eingestiegen. Ich hatte ihn im Maxi Cosi mit fahrbaren Untersatz. Er schlief gerade – und aufgrund seines fehlenden Mundschlusses und teilweise auch fehlenden Lidschlusses sieht er halt etwas komisch aus (ich finde ihn ja immer süß, aber das zählt vermutlich nicht). Und dann haben wir ja immer den Monitor und das Absauggerät dabei. Kurzum: Wir fallen also auf. Ich in diesen Fahrstuhl rein, indem schon eine Menge Leute standen. Und alle – wirklich alle – haben Julian angestarrt. Ich kann’s ihnen nicht verübeln. Vermutlich würde ich genauso gucken. Aber ich mag es einfach nicht, wenn man Julian anschaut als wäre er ein Außerirdischer. Ich habe daraufhin den Sonnenschutz vom Maxi Cosi hochgezogen. Eine kleine Geste, die geholfen hat. Die meisten haben betreten weggeschaut und ich vermute, meine Botschaft ist angekommen. 😉

Bei einer ähnlichen Situation haben wir neulich allerdings ein paar Leute ziemlich schockiert. Wir waren in einem Einkaufscenter unterwegs und Julian musste abgesaugt werden. Meistens suchen wir uns schon einen ruhigeren Platz, aber um seine Sicherheit nicht zu gefährden, kann es auch passieren, dass wir unter vielen Augen absaugen müssen. Wir standen wieder vor einem Fahrstuhl und mussten ihn absaugen. Meine Pflegekraft hat abgesaugt und ich hatte das (brummende) Absauggerät (in einer Tasche) an der Schulter. In dem Moment als wir fertig waren, ging die Fahrstuhltür auf. Wir wollten auch mitfahren, weil es schon länger gedauerte hatte. Wir also rein. Allerdings habe ich so schnell nicht den Aus-Knopf der Absauge gefunden. Also gingen wir so in den Aufzug. Wir mussten unwillkürlich lachen: Julian im Kinderwagen, unser Pflegedienst noch den Absaugschlauch in der Hand und ich die brummende Absauge an der Schulter… Öhmja. Alle im Aufzug haben uns ziemlich entsetzt angeschaut, was dazu führte, dass ich den Aus-Knopf noch weniger gefunden habe und wir noch mehr lachen mussten…. Die Antwort im Aufzug war betretendes Schweigen. Vermutlich hat der ein oder andere fest davon überzeugt, dass wir die Lage nicht im Griff hatten. Tja – auch das kann ich niemandem verübeln. Manchmal vergisst man auch wie das ganze auf andere wirkt. Für uns ist es einfach Normalität geworden. Sorry an die Beteiligten. Ich muss allerdings heute noch lachen, wenn ich daran denke. 😉

An die starrenden Blicke insgesamt gewöhnt man sich irgendwie. Da wird vermutlich noch wesentlich mehr werden, wenn wir im Rolli unterwegs sind. Noch ist Julian ja noch recht geschützt im Kinderwagen. In den allermeisten Fällen ignorieren wir sie. Normalerweise wird auch nur kurz geguckt – vielleicht noch ein zweites Mal und dann ist es auch gut. Wird es zu massiv versuche ich Julian zu schützen, indem ich ihn wegdrehe oder mich davor stelle o.ä.

Nervig finde ich persönlich die Menschen, die völlig entsetzt fragen: „Oh mein Gott. Was hat er denn???“ Und dabei auch eine entweder sehr schockierte oder auch mitleidige Mimik. Ich kann nicht gut damit umgehen, wenn jemand Mitleid mit Julian hat. Schlimm finde ich auch „Armer Junge“. Ich finde Julian ist gar nicht arm dran. Klar, er hat eine echt große Herausforderung mit ins Leben gebracht und hat viele schwere – teils auch lebensbedrohend schlimme Situationen. Aber er hat viele liebe Menschen, die ihn dabei unterstützen und die ihn so lieben, wie er ist. Und ich denke, dass wiegt vieles auf.

Glücklicherweise gibt es aber auch viele sehr nette Gespräche. Oft sind es Gespräche mit Menschen, die ihn über Bekannte bereits kennen, aber ihn bisher nicht persönlich gesehen haben. Manchmal aber auch bei komplett Fremden. Meistens gibt es erst zaghafte Annäherungen. Man merkt förmlich, dass sie darum herumtanzen und nicht wissen, wie sie anfangen sollen. Meistens fragen sie dann: „Darf ich etwas fragen?“ Es gibt Momente da möchte ich nicht drüber reden. Dann sage ich das auch direkt. Auch wenn man sich vermutlich im ersten Moment vor den Kopf gestoßen fühlt, ist das nie böse gemeint. Manchmal habe ich einfach keine Lust darüber zu reden. Ich lebe schließlich den ganzen Tag damit. Aber meistens beantworte ich gerne die Fragen und so entwickeln sich oft ganz tolle Gespräche. Und am Ende sind mir das fast immer die liebsten Begegnungen. Vor allem wenn der gegenüber echtes Interesse zeigt und konkret nach bestimmten Alltagssituationen fragt („Kann man ihn baden?“).

Unterm Strich gibt es nicht DIE Strategie und wie gesagt, wenn ich behinderte Menschen treffe, überfordert es mich. Wenn ich helfen kann, versuche ich es zu tun: Tür aufhalten, etwas aus dem Regal holen o.ä. oder frage, ob ich helfen kann (was vermutlich auch Nerven könnte). Bisher habe ich erst einen anderen jungen Mann getroffen, der ebenfalls beatmet war. Ich war allerdings auf dem Fahrrad unterwegs und konnte nicht anhalten. Ich bin gespannt wie ich reagiere, wenn ich Eltern mit einem beatmeten bzw. tracheotomierten Kind treffe. Falls Julian dabei ist, kommt man sicher leicht ins Gespräch. Aber wenn ich ohne ihn unterwegs bin? Interessiert an einem Austausch wäre ich natürlich sehr, aber schaffe ich den passenden Einstieg? Mal sehen. Ich werde berichten.
🙂